Über

Julika Porträt

Julika Stich

  • staatlich anerkannte Erzieherin
  • Studium an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachbereich „Außerschulische Bildung“
  • ausgebildete Seminarleiterin „Autogenes Training“
  • Autorin des Kinderbuches „Tom passt auf Papa auf“ Erstausgabe: Mai 2023

    Pflegte als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene ihre an MS erkrankte Mutter und möchte mit ihrer Erfahrung Betroffene und ehemals Betroffene erreichen sowie das öffentliche Bewusstsein für diese Zielgruppe vertiefen.

    Im Jahr 2016 gründete sie deswegen die Initiative junger Pflegender „Young Helping Hands“.

    Hauptverantwortlich für den Inhalt von
    www.young-helping-hands.de

    Kontaktaufnahme:
    E-Mail: julikastich@young-helping-hands.de

    Meine Geschichte als

    Young Carer

    Als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene habe ich 17 Jahre lang meine Mutter gepflegt. Ich war 2 Jahre alt, da erkrankte meine Mutter an Multipler Sklerose.

    Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, die waren besonders schwer für mich: Einmal hat sich ein Mitschüler einen Scherz erlaubt und ich dachte, meine Mutter sei nicht mehr zuhause, er habe ihren Rollstuhl (der zweite Rollstuhl, den sie für unterwegs brauchte) nicht mehr vor der Haustür gesehen. Heute kann ich mich noch an die Angst erinnern, die ich hatte, und wie schnell ich vom Schulweg nach Hause gerannt bin. Ein weiteres sehr prägendes Erlebnis war in dieser Zeit, als ich dachte, es wird bei uns eingebrochen und ich und meine Mutter hörten jemanden um das Haus schleichen und ich hatte eine schlimme Panik. Ich war damals ungefähr 16 Jahre alt und dachte nur: „Was machst du, wenn jemand kommt? Deine Mutter liegt da und kann sich nicht bewegen.“
    Dann habe ich viele Tage meiner Kindheit und Jugend im Krankenhaus verbracht. Ich musste mich erst mal als Erwachsene daran gewöhnen, wenn ich ein Krankenhaus betreten sollte. Mittlerweile kann ich das ganz gut und erschrecke auch nicht mehr so oft, wenn ich einen Krankenwagen höre.

    Grafik Julika am Kai

    Es gab auch viele schöne Momente: Als Kind war immer das Highlight eines Kindergeburtstages einmal Hebegerät zu fahren, oder die vielen Gäste bei uns zuhause (wir hatten oft Besuch und saßen gemeinsam am Esstisch), oder die schönen Momente mit meinen Freunden.

    Heute weiß ich, dass ich aber auch jahrelang nach Hilfe gesucht habe und oft ständig überfordert war. Denn obwohl viele Leute zu uns kamen, überblickte niemand so recht die Situation. Wie konnten sie auch, habe ich ja jetzt erst im Erwachsenenalter richtig erkannt, dass diese Tätigkeiten normalerweise nur Erwachsene machen, aber auch, dass ich damit nicht alleine war.

    Seit der Gründung von ,,Young Helping Hands“ im Jahr 2016 habe ich persönlich viel dazu gelernt bzgl. der Thematik ,,Young Carers“. Wir wissen heute, dass es in Deutschland schätzungsweise 1-2 Kinder pro Schulklasse gibt, die ihre Eltern und /oder andere Angehörige pflegen. Da ich nun vertraut mit dem Hintergrund bin und offener damit umgehen kann, erfahre ich auch viel über ehemals pflegende Kinder und Jugendliche. Das war für mich ein sehr befreiendes Erlebnis, denn obwohl ich immer noch oft die Auswirkungen der jahrelangen Pflege meiner Mutter spüre, kann ich das besser einordnen. Auch ist es für mich jetzt normal, dass ich das Erlebte nicht mehr herunterspiele und ernst nehme. Nun kann ich das dadurch entstandene Chaos in meinem Leben besser einordnen und bekomme nicht mehr so schnell Angst.

    Wenn jemand mal wieder unwissend sagt, dass es alles gar nicht so schlimm war, dann bleibe ich heute standhaft. Nein, es ist nicht gut gelaufen. Ich hatte keine richtige Kindheit und Jugend und habe vieles vermisst, bin oft unter Dauerbelastung gestanden und habe riesengroße Ängste gehabt. Das ist im Nachhinein nicht zu ändern, aber im Nachhinein ist mein Anliegen, Aufklärungsarbeit zu leisten!

    Dabei gebe ich mir Mühe und verzichte so gut wie es geht auf Belehrung und Anklage. Eins weiß ich jetzt immer besser: Ich bin genau so richtig, wie ich bin. Durch die Pflege habe ich viele Fähigkeiten, aber auch immer noch sehr viel nachzuholen. Früh musste ich erwachsen werden und lerne seit den letzten Jahren Dinge zu tun, die ich immer schon mal machen wollte.

    Es war für mich eine große Erleichterung zu erfahren, dass ich nicht allein bin und das gebe ich gerne weiter!

    Julika Stich